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Das Hilchenbacher Gerbereigewerbe
Das Gerbereigewerbe ist als Folge der Haubergswirtschaft
Bild 1, das Fachwerk- haus in der linken Mitte des Bildes ist das in Bild 2 gezeigte, noch heute im Gerberpark stehende Haus
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(siehe unsere separate Site hierzu) lange Zeit im Hilchenbacher Raum erfolgreich betrieben worden.
Zunehmendes Umweltbewußtsein und kostengünstiger produzierende ausländische Konkurrenz beendeten 1989 diese Tradition. Die älteste bekannte Lohmühle, in der Gerbmittel für
die Ledergerbereien hergestellt wurde, wird 1311 in einer Siegern Urkunde erwähnt. 1455 zählte die Zunft der Gerber 31 Mitglieder, 1482 bereits 47.
Waren die Gerbereien ursprünglich regional auf die Stadt Siegen beschränkt, so weitete sich das Gerbereigewerbe im 16. Jahrhundert auf dem Land aus. Eine Siegener Stadtrechnung aus
dem Jahre 1599 ist wohl der erste konkrete Nachweis eines Gerbers in Hilchenbach. Dort ist vermerkt, dass “dem weisgerber zu hilchenbach” 36 Heller gegeben wurden. Bei dem erwähnten
“weisgerber” handelt es sich wohl nicht um einen Familiennamen, sondern um eine Berufsangabe. Der erste Nachweis bezieht sich also
auf einen “weisgerber”, keinen “Löher”, die ansonsten im Siegerland und im Hilchenbacher Raum verbreitet waren. Weiß- und Rotgerber
(letztere wurden in den Siegener Stadtrechnungen des 15. und 16. Jahrhunderts “loier” gehannt) bereiteten das Leder auf unterschiedliche
Weise zu. Den Arbeitsprozeß der Gerber beschrieb Hans Sachs in dem 1561 erschienenen Ständebuch des Jost Amman wie folgt:
Demnach sind es also drei Arbeitsabschnitte: die Vorbereitung der Häute in der Wasserwerkstatt, dann der eigentliche Gerbvorgang in
Gruben, in Fässern, Bottichen bzw. Äschern und schließlich das Zurichten der gegerbten Felle. Die Unterscheidung zwischen Rot- und
Weißgerbern hat mit dem Ausgangsmaterial, mit dem Produkt und mit der Gerbart zu tun. Bei den Rotgerbern war sie ursprünglich pflanzlich (z.B. die geschälte und getrocknete Rinden von Eichen in den Haubergen oder Rinde von anderen Bäumen), bei den
Weißgerbern mineralisch. Zur Weißgerbung zählt die Fett- bzw. Ölgerbung und die mit Alaunsalzen gegerbten weißen und sehr
geschmeidigen Sämischleder, während bei der Rotgerbung die Häute während die Leder bei der Rotgerbung während des Gerbprozesses
eine Rotfärbung erhielten. Die Häute wurden zunächst in fließendem Wasser gespült, auf dem Schabebaum mit dem Scherdegen von
Fleisch- und Fettresten befreit. Haare wurden durch Urin, durch Räuchern in Schwitzkammern und schließlich durch Beschaben entfernt.
Danach wurden die Häute in Bottichen mit gebranntem Kalk oder Pottasche eingelegt (“Äscher”) um dann wieder gespült zu werden. Erst
dann folgt der eigentliche Gerbprozeß in den Gerbgruben oder Ziehlöchern, die mit Wasser und Lohe gefüllt waren. Dieser Prozeß dauerte
zwischen sechs Monaten und drei Jahren, war also sehr zeitaufwändig und bewirkte die Rotfärbung des Leders. Daher rührt der Name “Rotgerber”, der hier “Löher” und woanders “Lederer” genannt wurde. Nach Abschluss des Gerbvorgangs kamen die Häute wieder in die
Wasserwerkstatt, wurden gründlich gespült und kamen dann für längere Zeit auf den Trockenboden. Die Rotgerber stellten vor
Bild 2 - Das letzte verbliebene Gebäude der ehemaligen Hilchenbacher Lederwerke AG im heutigen Gerberpark
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allem die schwereren Leder, vor allem das Rindsleder, her während die Weiß- oder Sämischgerber die kleineren, feineren dünneren und weicheren Leder, z.B. von Schaf, Ziege, Kalb, Hirsch, Elch,
Antilope etc. produzierten. Der eigentliche Unterschied lag aber im Gerbprozess selbst. Während die Weißgerber mit Alaun in den Bottichen gerbten (aus Alaunschiefer gewonnene
basisches Kalialaun) verwendeten die Sämischgerber anstelle des Alaun Trane von Dorsch, Hai oder Wal. Weißgerber brachten ihre Leder wie die Tuchmacher in eine Walkmühle, die normalerweise
nicht Teil des eigenen Betriebes war, um die Produkte geschmeidig zu machen. Der Gerbprozess dauerte höchstens drei Monate.
Gerbereibetriebe benötigten verhältnismäßig umfangreiche Räumlichkeiten, die Einrichtung bedurfte eines beträchtlichen Kapitals und die
Betriebe wurden über mehrere Generationen vererbt. Rotgerber benötigten wegen des wesentlich länger dauernden Gerbprozesses bei
hartem Sohlleder etc. ein erheblich höheres Betriebskapital und die Gerber gehörten zu den besonders wohlhabenden Handwerkern.
Gerbereien waren Frühformen der chemischen Industrie, chemische Prozesse
Bild 3 - Schälen der Eichen im Hauberg zur Gewinnung der Eichenlohe
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bestimmten den Produktionsgang und mechanische Prozesse wie das Schaben, Walken und Spalten der Häute, Felle und des Leders unterstützten sie. Natürliche Rohstoffe stellten
einen hohen Wert dar und die Resteverwertung (z.B. der Tierhaare in den Filzfabriken oder der
tierischen Fettreste und Teile der Unterhäute in der Leimindustrie) brachte größtmöglichen Nutzen.
Von erheblicher Bedeutung für die Gerbereien im Siegerland waren die wassernahen Standorte, die die Betriebe mit kalkarmem Wasser versorgten. Kalkbrei auf den Häuten konnte durch
kalkarmes Wasser viel leichter entfernt werden.
Ein Standortvorteil war es auch, dass die Produktion und Beschaffung von Eichenlohe aus heimischen Haubergen möglich war. Die Lohe aus den Haubergen, die eine Folge der
Holzbewirtschaftung zur Versorgung der Stahl- und Eisenindustrie waren, also die Rinde der heimischen Trauben- und Stieleichen war besonders gut für die Gerbereien geeignet.
Die Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts ließen das wasserreiche obere Ferndorfbachtal und die Nähe ausgedehnter Haubergswaldungen
Hilchenbach neben Siegen und Freudenberg zum bedeutendsten Zentrum der Lohgerberei im Siegerland werden. Obwohl noch im
ausgehenden 18. Jahrhundert alle hier ansässigen Gerbereien Kleinbetriebe mit nur wenigen Arbeitskräften waren, gehörten die Mitglieder
der Gerberzunft zu den angesehensten Familien und waren seit 1769 immer wieder in verantwortlichen öffentlichen Ämtern Hilchenbachs zu finden.
Ende des 18. Jahrhunderts arbeiteten im Raum Hilchenbach 11 Gerbereien, die im Schnitt 150 Häute pro Jahr verarbeiteten. Das würde
rein rechnerisch eine Viehherde von 1.650 Stück bedeuten. Tatsächlich gab es jedoch in Hilchenbach nur rund 1.500 Rinder, wobei davon
jährlich höchstens ein Viertel geschlachtet wurde, was manimal 375 Häute gebracht hätte. Die 12.000 Häute, die die Siegerländer Gerbereien
Bild 4 - Versetzen der Häute in die Lohgrube
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seinerzeit jährlich verarbeiteten, hätten also einen Viehbestand von über 48.000 Stück erfordert, der im Siegerland zu keinem Zeitpunkt vorhanden war.
Der große Bedarf an Rohhäuten wurde vor allem aus Südamerika gedeckt. Ebenso mussten aus dem europäischen Ausland große Mengen Gerberlohe eingeführt werden. Schon früh wurden in den
Gerbereien im Siegerland ausländische Häute verarbeitet. Sie produzierten ein vorzügliches Leder, das sich eines guten Rufes erfreute. Die Siegerländer Gerber besuchten regelmäßig die
Messen in Frankfurt, Braunschweig und Leibzig. Ein Geschäfts- und Setzbuch aus Meiswinkel aus dem Jahr 1731 besagt, dass Häute - wahrscheinlich Wildhäute - aus den Niederlanden bezogen
wurden. Im allgemeinen blieb es beim Kleinbetrieb, in dem außer dem Meister vielleicht 2-3 Gerber ihren Unterhalt fanden. Manch innere Kämpfe waren zu bestehen. Im 16. Jahrhundert bestanden sie in
Uneinigkeiten zwischen Meister und Gesellen, im Kampf der Siegener Stadtgerbereien gegen die Landgerbereien, später im Konkurrenzkampf um
Bild 5 - Pressen der Häute
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genügende Menden Lohe mit dem benachbarten Fürstentum Dillenburg. Das ging teilweise so weit, dass schon damals staatliche Verordnungen, wie Ausfuhrverbote und Verteilung der
Lohe, helfen sollten. Der Aufschwung der Gerbereien ging schneller voran, als die Schälwirtschaft in den Haubergen folgen konnte. Im Jahre 1787 wurde mit der Erwartung, damit der
Entwicklung der Gerbereien im Siegerland Einhalt zu bieten, von der Nassauer Gerberzunft der Lohhandel wieder freigegeben. Es kam aber anders. Die Gerber des Siegerlandes konnten nicht nur
ihre Größe wahren, sondern sich in der nunmehr freiheitlicheren Entwicklung weiter vergrößern.
Nach vorübergehendem Niedergang unter französischer
Fremdherrschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts, wo das bis dahin blühende Gerbereigewerbe fast zum Erliegen kam, entwickelte sich in
Hilchenbach aus den alten Gerberhandwerksbetrieben ein überregional bedeutender industrieller Wirtschaftsbereich, der zum
Haupterwerbszweig der Bevölkerung wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gab es im Fürstentum Siegen 69 Gerbereien, gegen Ende des 19. Jahrhunderts 92. Im Jahre 1838 kam die
Gesamterzeugung der
Bild 6 - Annageln der Häute zum Trocknen
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Gerbereien im Siegerland auf 45.000 Ochsen- und Kuhhäute inkl. einiger Kalbfelle im Gesamtwert von 700.000 Taler. Der Lohverbrauch stieg auf 113.000 Bürden, die Arbeiterzahl betrug
203. Das war eine Ausdehnung innerhalb von 20 Jahren um fast das Dreifache. Maßgeblich hierfür war vor allem die Gründung des Zollvereins und die
damit verbundene Aufhebung der Durchgangszölle nach Osten, da der Absatz des Leders aus dem Siegerland im Wesentlichen ostwärts ging. Im rheinischen Gebiet machte sich der Wettbewerb
mit Trier, Aachen und Malmedy erheblich bemerkbar. 1891 erreichten die Lohgerbereien des Siegerlandes in 92 Gerbereien, einem Verbrauch von 156.000 Haut und 15 Millionen Kilo
Eichenrinde jährlich den Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. Es wurden fast 1,5 Millonen Kilo Sohlleder im Werte von fast 8
Millionen Mark hergestellt. Das bei dieser Produktionssteigerung wiederum die Loherzeugung nicht nachkam, ist verständlich.
Die Überreste der verbrauchten Lohe wurden in eisernen Formen zu “Lohkuchen” (oder “Lohkäs” - Begriff aus dem Süddeutschen) gepreßt.
Diese Formen sind heute noch im Hilchenbacher Stadtmuseum zu sehen. Weil sie am besten mit kleinen Kinderfüßen in die Formen
getreten werden konnten, erhielten die Kinder den Beinamen “Lohtrippler”. Gerberkinder erledigten diese Arbeiten oder andere
Hilchenbacher Kinder verdienten sich ein wenig Geld oder Essen. Die Lohkuchen selbst dienten als Brennmaterial. Sie waren jedoch nur
eine lokale Rohstoffverwertung, wo keine Gerbereien waren, wurden auch kaum Lohkuchen verheizt.
Der Niedergang begann mit der Anlage von Schnellgerbereien in Norddeutschland. Mit Hilfe neuer Gerbmittel konnte hier wesentlich schneller und preisgünstiger produziert werden. Gegen Ende des 19
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Bild 7 - Luftbild aus dem Jubiläumsjahr 1973 (75 Jahre Lederwerke AG und 25 Jahre Hilchenbacher Pelzveredlung GmbH). Im Vordergrund rechts Krämers
Villa und Krämers Grundstück (heute Netto-Markt), darüber die Hilchenbacher Lederwerke und Pelzveredlung
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Jahrhunderts häuften sich Konkurse und Betriebsaufgaben Hilchenbacher Gerbereien. Nur durch den Zusammenschluß von Gerbereien und durch die
Umstellung auf neue Gerbverfahren konnte die Produktion aufrechterhalten werden. Am 22. Dezember 1898 entstand die "Aktiengesellschaft Hilchenbacher Lederwerke" aus den vier
Gerbereien Giersbach, Hüttenhein und Kraemer. Eine Umstellung der ehemaligen Sohllederherstellung auf andere Lederarten, beispielsweise auf Möbel- und Bekleidungsleder,
erwies sich als unumgänglich und über viele Jahre erfolgreich.
Die letzte handwerklich orientierte Lohgerberei Hilchenbachs schloß bereits im Jahre 1953. Die
Hilchenbacher Lederwerke AG, das letzte Überbleibsel eines einst blühenden Siegerländer Gerbereigewerbes hatte letztlich mit zunehmendem Umweltbewußtsein auch eine starke Gegnerschaft
unter den Naturschützern, Sie schloß 1989 aus wirtschaftlichen Gründen endgültig ihre Pforten. Seit dem ersten schriftlichen
Nachweis eines Gerbers in Hilchenbach bis zum Ende der letzten Gerberei waren fast 400 Jahre vergangen. An die letzte Gerberei erinnert heute nur noch das an gleicher Stelle entstandene
Einkaufszentrum "Gerberpark" und die ehemals zur Gerberei
gehörende Villa, die heute ein Naturdenkmal ist und unter Schutz steht (siehe Bild 2 auf dieser Site). Die Abbildung 1 zeigt die Anlieferung
, das Sortieren und Wiegen von Rohhäuten. Die dort im Hintergrund zu sehende Villa ist die heute unter Denkmalsschutz gestellte und
als Wohnhaus erhalten gebliebene Villa auf dem ehemaligen Gelände der Hilchenbacher Lederwerke AG. Die Abbildungen 4, 5 und 6
zeigen ebenso wie die Abbildung 1 Fotodokumente aus den Stadtmuseum Hilchenbach, speziell das Versetzen der Häute in die
Lohgrube, das Pressen der Häute und das Annageln der Häute zum Trocknen
Quellennachweise
"Stadtmuseum Hilchenbach in der Wilhelmsburg" - Die vollständige Loseblatt-Dokumentation ist im Stadtmuseum als Museumsführer erhältlich.
"Wirtschaftsgeschichte des Hilchenbacher Raumes", Die Entfaltung der Wirtschaft im nördlichen Siegerland seit dem Mittelalter von Friedrich-Wilhelm Henning, Copyright
Hilchenbacher Geschichtsverein e.V., Hilchenbach 1987.
“Das Ende der naturalen Ökonomie - Gedanken über das Ende der Gerberei in Hilchenbach” von Rainer S. Elkar, hrsgg. vom Vorstand des Hilchenbacher
Geschichtsvereins e.V., Folge 10
“50. Wiederkehr des Gründungstages der Actiengesellschaft Hilchenbacher Lederwerke am 22. Dezember 1898”, Festansprache am 28. Dezember 1948 von Wilhelm
Kraemer zur Feier der 50. Wiederkehr des Gründungstages der Actiengesellschaft Hilchenbacher Lederwerke
“Das Siegerland in schönen Bildern”, hrsgg. von Dr. Paul Fickeler, 3. Auflage 1949, Wilhelm Schneider Verlag, Siegen
Die Bilder 1, 4, 5 und 6 sind Fotos aus dem Stadtmuseum Hilchenbach. Das Bild 2 ist eine eigene Aufnahme. Das Bild 3 ist von Dr. Paul Fickeler und stammt aus dem
1949 erschienenen Buch “Das Siegerland in schönen Bildern”, a.a.O. Das Bild 7 hat freundlicherweise Andreas Saßmannshausen aus Hilchenbach bzw. Wuppertal zur
Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür
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