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Der Freiheitsbrief vom 1. Mai 1687
Der Freiheitsbrief vom 1. Mai 1687 bestimmte die Erhebung des Dorfes Hilchenbach zu einem Flecken, der Einwohner zu Bürgern machte und ihnen das Recht gab, den Flecken mit neuen Toren,
Mauern, Gräben oder Palisaden zu befestigen. Neu zuziehende Bürger mussten ihre eheliche Geburt und einen guten Leumund nachweisen sowie 10 Reichstaler, Frauen nur 5, zahlen und einen ledernen Eimer
mitbringen. Bürgersöhne aus Hilchenbach, aus der Stadt Siegen und aus dem Flecken Freudenberg mussten neben dem Eimer nur 3 Kopfstücke (= 30 Albus) an Bürgergeld
entrichten. Jährlich sollten zwei Jahrmärkte gehalten werden, einer am Mittwoch nach Pfingsten und der andere zu Bartholomäi. Marktstandgelder und ein Wegegeld von 2
Pfennigen für den durchfahrenden beladenen Karren fielen dem Flecken zu. Die herrschaftlichen Güter wurden zur Viehhut der Gemeinde, wobei das zur fürstlichen
Wilhelmsburg gehörende Vieh, 50 Rinder und 500 Schafe, mitgehütet werden sollten. Den Hilchenbachern wurden alle Mai- und Herbstbede (oder bete, mittelhochdeutsch: Bitte bzw. Abgabe od
er Gebot, gilt als älteste direkte Steuer im
Bild 1 - Das Freiheitsprivileg von 1687 - Erste Seite der Abschrift im Bürgerbuche der Stadt Hilchenbach
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deutschen Sprachraum), an Dienstgeldern der Hammelschnitt (Kastration der jungen nicht zur Zucht dienenden Bocklämmer im Frühling), Hunde- und Futterhafer
(Abgabe von Hafer oder sonstigem Korn anstatt Aufnahme der herrschaftlichen Pferde oder Hunde), die landesherrliche Abgabe der Mai- und Herbsthühner (Abgabe von Hühnern als Naturalabgabe), der
Jägerhanf (Abgabe an den Forstherrn für Verwandlung von Forsten in Bauland oder für Feldhut) und das sogenannte Lontenwerk erlassen. Außerdem wurden
sie von allen Pferde- und Handfrondiensten sowie vom Botengehen und von jedem Jagddienst außerhalb der Gemarkung befreit. Diese Rechte und Freiheiten gewährte der
Fürst gegen eine einmalige Abgabe von 6.200 Reichstalern.
Hilchenbach hat sich also die Fleckenrechte etwas kosten lassen. Sie wurden auf die 77 Feuerstätten mit je 80 Talern umgelegt. Unklar ist, der die Aufrundung von 40 Talern
bezahlt hat. Das Geld entsprach, wenn man den damals üblichen Zins annimmt, einer jährlichen Belastung von 310 Talern oder etwa 580 Gulden, so dass man heute
bezweifeln muss, ob das für Hilchenbach ein Geschäft war, selbst wenn Bede und Dienstgelder sowie lästige Dienste wegfielen und Bürger-, Markt- und Wegegeld
verrechnet wurden, zumal der Landesherrschaft die Hauptsteuer, die Schatzung, verblieb und es ihr frei stand, neue Abgaben unter neuem
Namen anzuordnen. Der rein finanziellen Betrachtung stehen jedoch die ideellen Vorteile, die größere Selbstverwaltung, das erhöhte
Selbstwertgefühl und der damit verbundene erhöhte Unternehmungsgeist, auch eine stärkere Verpflichtung für die Förderung der Kultur
gegenüber. Die Erhebung zu Flecken, die Residenz des Fürsten und seiner Beamten hatte aber auch Schädliches: Eine gewisse
Überheblichkeit, die durch “Jung-Stillings Jugend” in die deutsche Literatur eingegangen ist, wurde den Fleckenbewohnern von den Nachbarn nachgesagt.
Jährlich am 1. Mai, oder, falls dieser Tag auf einen Sonntag fiel, am folgenden Montag, sollte die gesamte Bürgerschaft mit Stimmenmehrheit unter Geschäftsführung des Schultheißen1 einen Alten und einen Jungen Bürgermeister wählen, die unter Aufsicht des
Schultheißen die Verwaltung führten und am Ende des Jahres darüber Rechenschaft abzulegen hatten.
Das Original des Freiheitsbriefes, so schreibt Dr. Walter Menn in “Hilchenbach - Ein geschichtlicher Überblick”, Festschrift zur 250-Jahrfeier
der Stadt, im Jahre 1937, ist zur Zeit nicht auffindbar, es liegt weder bei den Hilchenbacher Akten noch in den Archiven von Münster,
Wiesbaden oder dem Haag. Nicht ausgeschlossen ist es, daß die Urkunde bei dem Brande von 1844 vernichtet worden ist. Nachfolgende Ausführungen sind nach dem Abdruck im Bürgerbuch der Stadt gemacht:
Wir Wilhelm Moritz von Gottes Gnaden Fürst zu Nassau [...] fügen hiermit kund und bekennen für Uns, Unsere Erben und Nachkommen in
Kraft dieses offenen Briefes, als und demnach Unsere Untertanen und Einwohner unseres Dorfs Hilchenbachs Uns zu mehrmalen
untertänigst vorgestellt und zu erkennen gegeben, welcher Gestalt sie und ihre Gemeinde in mehr denn siebenzig Feuerstätten und fast
allein Handelst- und Handwerksleuten bestünden, sie auch jemehr und mehr an Haus und Völkern zunehmen täten und auf Unsere gnädige
Verordnung und Zulassung unter sich schon verschiedene Zünften aufgerichtet und derselben noch etliche weiters aufzurichten gemeinet
und entschlossen, auch im Werk schon würklichen begriffen wären, daß also sie sich durch ihre Partierung und Handwerken weit mehr und
besser als durch den Gebrauch ihrer Güter zu ernähren und fortzubringen getraueten, wann sie nur hierbei deren zu ihrer Hinderung
einlaufender Dienstbarkeiten erlediget und hingegen mit einiger Freiheit begnadiget werden möchten, Uns demenach untertänigst demutigst
bittende sie in Gnaden anzusehen und sie nicht (nur) der erwähnter Ursachen halber und damit sie ihren Partierung und Handwerken desto
besser nachkommen und abwarten könnten, sie ihrer Frondiensten und übrigen Beschwerungen gegen eine untertänigste Erkenntnis und
Discretion gnädigst zu erlassen, sondern auch mit eines Fleckens Gerechtigkeit, Privilegien und Freiheiten gnädigsten zu versehen: Daß
Wir hierauf aus sonderbarer Zuneigung, Bewegnus und Gnaden gegen obberührte Unsere Untertanen und Einwohner zu Hilchenbach und
zu dero selbsten und ihrer Nachkömmlingen desto beständigerm Nutzen, Wohlgedeihen und Auskommen sie alle gesampt und jeden von
ihnen besonders ohne einigen Unterscheid zu einer gemeinen Bürgerschaft und eines Flecken Gerechtigkeit, Privilegien und Freiheit
gnädigst gewürdiget, erhöhet, auf- und angenommen haben, würdigen, erhöhen, ahnnehmen und begnadigen auch gegennwärtig für Uns,
Unsere Erben und Nachkommen aus freien Vorbedacht, guten Willen und Fürsatz dieselbe sampt und sonders hiermit nachmals in der
best und beständigster Form, wie solche von Rechts oder Gewohnheits wegen an kräftigsten immer geschehen sollen, können oder mögen, uff Weis und Maß, wie nachfolget:
Erstlich sollen Unser bisher gewesenes Dorf Hilchenbach ein Flecken und dessen Einwohner Bürger sein, auch vollenkommene Mög und
Macht haben, sich von nunan bis zu den ewigen Tagen also zu schreiben und nennen zu lassen und des Ends diesen Flecken als Bürgern
mit neuen Pforten, Mauren, Graben oder Palisaden nach äußerstem ihrem Vermögen zu befestigen, zu umbgeben und zu verwahren, darzu
Wir Unseres Orts es an treuer landesväterlicher Hülfe und Beforderung, das Unsrige zu tun, keinesweges ermangeln werden, vor eins.
Fürs andere ordinieren, konsentieren, wollen und befehlen Wir gnädigst, daß zu Bedienung ihres gemeinen bürgerlichen Wesens und uff
daß dieser Flecken und Bürgerschaft zu desto mehrerm ihrem Besten befordert und hirinnen erhalten werden, von nun ahn und künftigen
immerhin auf Walpurgis, ist der erste Tag des Monats Mai und da dieser Tag auf einen Sonntag fiele, alsdann auf den nächsten Montag
hiernach aus dieser Bürgerschaft zween aufrichtig verständige ehr- und redliche Biedermänner, auf welche niemand etwas anders als Gutes
zu sagen hat, und zwaren deren einer zum Alten, der ander aber zum Jungen Bürgermeister von der gesampten Bürgerschaft ohnparteiisch
durch die meiste Stimmen für Unserm zeitigen dieses Ort Schultheißen, welcher die Vota colligieren und annotieren soll, erwählet und
gekoren, auch wann dieses geschehen, in Unserm Namen von demselben Unserm Bedienten zum Bürgermeisterampt bestätiget, in
Pflichten genommen und ermahnet werden, daß sie dieses ihr Ampt treulich und aufrichtigen verwalten, der Bürgerschaft möglichsten
Fleißes vorstehen und alle des Fleckens Einkombsten und Gefälle zu dessen gemeinen Besten, jedoch mit Unsers jedesmaligen ihnen
vorgestellten Beampten und Schultheißen Vorwissen und Constens anlegen und verwenden, fortumb hiervon habender Ehre halber
jedesmal bei Ablauf des Jahrs uff den letzten Tag Aprillis klar und deutliche Rechnung über den gemeinen Empfang und dessen Ausgabe in
Präsens Unsers Schultheißen oder Beampten und der ganzen Bürgerschaft tun, leisten und führen, dann dieselbige Uns zu Unsere
gnädigste Revision und Ratification durch gemelten Unsern Beampten untertänigst präsentieren lassen, fort Unserer fernerer gnädigsten Verordnung dem Befinden nach hierüber erwarten sollen.
Drittens consentieren, bewilligen und ordinieren Wir aus sonderbarer Gnaden diesem Flecken und der Bürgerschaft, daß sie ebenfalls von
nun an und künftigen in diese ihre Gemeine und Bürgerschaft keinen Frembden und itzo hierzu nicht gehörigen uff- oder annehmen sollen,
können oder mögen, derselbe bescheine und beweise dann zuvorderst seine eheliche Geburt, guten Leymuth, Namen und Wohlverhalten
glaubhaft und gebe dieser Bürgerschaft zehen Reichstaler in Geld und einen leddernen Eimer. Wäre es aber eine Weibsperson von dieser
Bürgerschaft befrembdet, die derselben begehren und ihre ehelichen Geburt, guten Namens und Wohlverhaltens nötig Zeugnis beibringen
und dann der Bürgerschaft fünf Reichstaler geben werde, alsdann soll dieselbe ebener Gestalt in diese Bürgerschaft angenommen werden.
Ein Bürgerssohn dieses Fleckens aber oder auch ein Bürgerssohn aus unserer Stadt Siegen oder aus unserm Flecken Freudenberg sollen,
gleich wie diese Bürgerskinder bei ihnen, also auch allhier umb drei Kopstück Bürgergeldes bei Leistung ihrer Bürgerpflicht und Hergebung
eines leddern Eimers zu dieser Bürgerschaft gelassen, die Töchter aber mit nichts beschwert, hingegen alles gegenwärtig und künftig
allhier fallendes Bürgergeld ohne einigen Unterschied dem Flecken und dessen gemeinen Bürgerschaft zu ihrem gemeinen Nutzen und Bestem zu verwenden gänzlichen gelassen werden und verbleiben.
Wir haben auch viertens diesem Unserm Flecken solche fernere Gnade getan, daß sie zur Beforderung ihrer Nahrung von nun an und stets
hin jedes Jahr zwei offene freie Jahrmark anstellen, celebrieren und deren erstes den nächst Mittwoche nacher Pfingsten, das ander aber uff
Bartholomaei Tag halten und die von beiden Marken fallende Standgelder nebst auch von jeder Karren, so beladen durchfähret, zween
Pfennig Wegegeldes durch ihre jedesmalig Bürgermeistere erheben und zu ihrem gemeinen Nutzen verwenden und berechnen lassen sollen und mögen.
Ebener Gestalt und zum fünften wollen wir vielgemeltem Unserm Flecken und dessen Bürgerschaft in Kraft dieses Briefes ihres Vieheshuts
aus Gnaden soweit vergrößert haben, daß sie an Dato dieses an Unsere Hobesgut zum Rodenberg, das Steiner- und Waldgut und was
dergleichen Unserer Güter mehr seind, den Tiergarten daselbst ausgeschlossen, nebst deme zu Unserm Haus, die Wilhelmsburg genannt,
behörigem Hoffes Viehe, nemblichen fünfzig Stück Rindviehes und fünfhundert Stück Schaf nach üblichem Gebrauch und Weidens Manier
mit ihrem Viehe mitbehüten helfen und deren Weide sich mitgebrauchen sollen und mögen.
Über dieses und zum sechsten eximieren, erlassen und befreien Wir auch für Uns, Unser Erben und Nachkommen obbesagten Unsern
Flecken Hilchenbach und dessen eingesessene Bürgerschaft uff ewige Zeit gnädigst des jährlichen Hamelschnitts und was dessentwegen künftig konnte oder mögte gefordert werden.
Wie auch siebentens aller Pferds- und Handfrondiensten, die haben Namen, wie sie wollen.
Achtens aller Jagden außerhalb ihrer Hut und Mark gelegen, ohne einigen Unterscheid.
Neuntens des gänzlichen Botengehens und daß sie dessene ganz und gar erlediget sein und bleiben sollen.
Zehntens der also genannten Hund- und Futterhafer.
Elftens aller Herrn-, nemblich Mai- und Herbsthühner.
Zwölftens des Hägerhanfs und Lontenwerks
und endlich aller Mai- und Herbstbede.
Wollen, befehlen und meinen ernstlich, daß sie Hilchenbacher Bürger und ihre Nachkommende hierwider nicht bekümmert oder
beeinträchtiget, sondern gleich wie sie oft gemelter Unseres Fleckens ingesessene Bürgerschaft zur Erlangung dieser Unserer ihnen
erzeigte verschiedene Gnade und Freiheiten Sechstausendundzweihundert Reichstaler untertänigst offeriert, präsentiert und würklich
darzahlen und erlegen lassen, Wir auch dieselbige wohl empfangen und in Unsern besten Nutzen verwendet haben, also von Uns, Unsere
Erben und Nachkommen, auch Unsern und Unsere Erben nachkommenden Räten, Beampten und Dienern bei obigem allem jederzeit
geschützet. geschirmet und gehandhabt werden sollen, alles ohne Arglist und Gefährde. Dessen allen zu mehrer Bekräftigung haben Wir
diesen Brief nicht allein eigenhändig unterschrieben, sondern auch mit Unserm fürstlichen ahngebornen Insiegel corroborieren und
befestigen lassen, der gegeben ist den ersten Tag Maji im Jahr nach Christi Unsers lieben Herrn und Seligmachers Geburt, als man schrieb
und zahlte Eintausendsechshundertachzigundsieben, sage 1687 den 1. Tag Monats Mai.
Quellenhinweise:
1Als Schultheiß bzw. Schulte oder Schulze bezeichnete man früher den Gemeindevorsteher (heute die Funktion des Brgermeisters), den Vogt oder den
Vollstreckungsbeamten des Landesherren, in der Regel des Grafen. Als Beamter des Landesherren hatte er die Aufgabe, seinen Fronhofsverband zur Einhaltung ihrer
Abgabe- und Dienstverpflichtungen gegenüber dem Landesherren anzuhalten. Vom "Schuld" und "heißen" (mittelhochdeutsch: Schultheize) und "der die Verpflichtungen
zur Leistung befiehlt" – etwa ein "Vollzugsbeamter".
Die gescante erste Seite der Abschrift aus dem Bürgerbuch der Stadt, die das Freiheitsprivileg von 1687 wiedergibt, sowie der Text der Urkunde ist aus “Hilchenbach - Ein
geschichtlicher Überblick”, Festschrift zur 250-Jahrfeier der Stadt von Dr. Walter Menn, Hilchenbach 1937, Verlag von Wesener Nachf., die zum 1. Mai 1937 erschienen ist
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